Montag, 31. Oktober 2011

Auf der Suche nach dem Glück

Taugt das Bruttoinlandsprodukt noch als Maß für Wohlstand? Oder ist Geld am Ende doch nicht alles? Britische Statistiker wollen herausfinden, was die Menschen wirklich zufrieden macht. Die Regierung von Premier Cameron will die Ergebnisse auch politisch nutzen - etwa in Parks.

Für viele Europäer ist wirtschaftlicher Wohlstand längst zum Normalzustand geworden. Mit
guten Wachstumszahlen können Regierungen die Bürger nur noch wenig beeindrucken. Auf der Suche nach einem neuen Wohlstandsindikator wenden britische Statistiker nun ein neues Konzept an: Sie versuchen, die persönliche Zufriedenheit der Briten zu erfassen. Bereits seit April würden Teilnehmer bei der Befragung durch das nationale Statistikamt nach ihrem Glückslevel befragt, sagte Behördenchefin Jill Matheson nach einem Bericht der Zeitung "Guardian". Die Befragten dürfen ihr Wohlbefinden auf einer Skala zwischen eins und zehn einordnen. Die Fragen muten philosophisch an: Wie zufrieden sind Sie heute mit Ihrem Leben? Wie glücklich waren Sie gestern? Was machte Ihnen zuletzt Sorgen? Inwiefern haben Sie das Gefühl, dass Ihr Leben einen Sinn macht? Rund 200.000 Menschen wurden diese Fragen bereits gestellt. Im Juli kommenden Jahres wollen die Statistiker die Ergebnisse veröffentlichen. Doch nicht nur die Glücksfragen sollen in den neuen Wohlfühl-Index einfließen, sondern auch Faktoren wie Lebenserwartung und Wohlstand. Das soll zeigen, wie sich die Politik der Regierung auf das Wohlbefinden der Bürger auswirkt.

Großbritannien ist nicht das erste Land, das nach einem neuen Wohlstandskonzept sucht. Auch in Deutschland befasst sich eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten mit dem Thema. Parlamentarier und Wissenschaftler suchen in der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" nach einer Alternative zum klassischen Wachstumsmesser, dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Im besten Fall soll am Ende ein neuer "ganzheitlicher Wohlstands- und Fortschrittsindikator" stehen. Dass die Deutschen Turbo-Wirtschaftswachstum allein nicht glücklich macht, zeigte zuletzt ein OECD-Ranking.

Trotz guter Lebensbedingungen lagen die Deutschen im Zufriedenheitsvergleich nur im Mittelfeld. Auch in Frankreich sucht die Regierung nach der Glücksformel. Präsident Nicolas Sarkozy hatte sich selbst dafür eingesetzt. Der König von Bhutan hat schon vor geraumer Zeit das "Bruttonationalglück" als Staatsziel in die Verfassung geschrieben.

Die Briten wollen nun also Vorreiter in Europa werden. Das herkömmliche BIP erfasse wichtige Faktoren einfach nicht, sagte Statistik-Chefin Matheson. Es misst den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die innerhalb einer bestimmten Periode in einer Volkswirtschaft hergestellt werden. Das Wohlbefinden der Menschen hänge aber auch davon ab, ob sie gesund seien oder einen Job haben, sagte Matheson. Untersuchungen des Statistikamts hätten ergeben, dass Gesundheit, Beziehungen, Arbeit und Umwelt die wichtigsten Einflussgrößen für Zufriedenheit seien.

Dass das Glück der Briten nicht nur von der Wirtschaftslage abhängt, dürfte bei der Regierung angesichts der neuesten BIP-Zahlen für Erleichterung sorgen. Denn die geben nicht allzu viel Grund zur Freude. Das BIP wuchs im zweiten Quartal nur um 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorquartal, wie das nationale Statistikamt mitteilte. Im Jahresvergleich war es das schwächste Wachstum seit Anfang 2010. Damit kommt Großbritannien aus der Negativ-Spirale heraus, die durch hohe Schulden und schwaches Wirtschaftswachstum ausgelöst wurde. Die Neuverschuldung nahm von April bis Juni nur um 0,4 Milliarden auf 39,2 Milliarden Pfund ab. Damit bleibt das Haushaltsdefizit weiter extrem hoch. Auch die Inflationsrate liegt mit 4,2 Prozent deutlich über der Zielmarke von zwei Prozent.

Quelle: Spiegel Online 26.7.2011

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