Sonntag, 3. Juni 2012

Frankenkurs umstritten

Der fixe Wechselkurs des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro sorgt wieder für Diskussionen. Ex-UBS-Chef Grübel und SVP-Stratege Blocher finden, die Nationalbank solle den Franken freigeben. Nun brandet Kritik.

Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Nationalbank ihre Strategie aufgeben müsse, den Franken mit einem fixen Wechselkurs von 1.20 Franken an den Euro anzubinden. Dies schreibt der frühere UBS-Chef Oswald Grübel in seiner jüngsten Kolumne in der Zeitung «Der Sonntag». Je länger die Schweiz daran festhalte, desto höher sei der Preis dafür. Sukkurs erhielt Grübel von SVP-Stratege Christoph Blocher: Der Mindestkurs von 1.20 Franken sei «langfristig nicht durchsetzbar». 

Grübels Vorschlag stösst in der Wirtschaft auf breite Ablehnung. Von Economiesuisse über Swissmem bis zu Schweiz Tourismus fordern Spitzenverbände, die Nationalbank solle am fixen Frankenkurs festhalten. «Die Untergrenze von 1.20 Franken zum Euro muss bleiben», sagt etwa Gerold Bührer, Präsident des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse. Bührer weiter: «Die verantwortlichen Akteure sollten Debatten über Wechselkursziele tunlichst unterlassen, damit zieht man die Spekulanten geradezu an.» «Die Aufgabe der Untergrenze wäre völlig falsch», kritisiert Daniel Lampart, Ökonom des Gewerkschaftsbundes.


«Die Nationalbank muss und wird die Untergrenze von 1.20 Franken halten», sagt Hans Hess, Präsident des Industrieverbandes Swissmem: «Wir unterstützen sie darin voll und ganz.» Denn der Franken sei gegenüber dem Euro bereits jetzt bis zu 15 Prozent überbewertet. «Mitten in der Eurokrise öffentlich zu fordern, den Franken gegenüber dem Euro frei floaten zu lassen, ist verantwortungslos», so Hess weiter. Er kritisiert die Debatte grundsätzlich: «Eine solche Diskussion untergräbt die Anstrengungen der Nationalbank, den Euro bei 1.20 zu halten.» «Viele exportorientierte KMU und deren Zulieferer würden einen solchen Schock nicht überleben, grössere Unternehmen müssten massenhaft Arbeitsplätze ins Ausland verlagern», befürchtet Hess.


Den Wechselkurs zum Euro freizugeben, «wäre fatal für den Tourismus», sagt Jürg Schmid, Chef von Schweiz Tourismus: «Wir sind jetzt schon die am stärksten und direktesten von der Euroschwäche betroffene Branche.» Nichts von Grübels Vorschlag hält auch der Berner Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti: «Gibt man den Wechselkurs bei den derzeitigen Turbulenzen des Euroraums frei, bewirkt das sehr rasch eine gewaltige Aufwertung des Frankens.» Bisher habe die Nationalbank mit ihrem festen Wechselkurs verhindert, dass der Franken zur Fluchtwährung des Euroraums wird, sagt Brunetti.


Gebe man den Frankenkurs frei, bestehe die Gefahr, «dass die Aufwertung stark überschiesst, so wie letzten Sommer, als der Euro plötzlich auf einen Franken absackte». Bleibe der Franken in der Folge längere Zeit stark überbewertet, «kann das für einen Teil der Exportindustrie tödlich sein», so Brunetti. Das sieht Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer genauso: «Verabschieden wir uns vom festen Wechselkursziel, werden die Europrobleme den Franken sehr rasch in Richtung Parität drücken.»


Paul Oertli, Mitinhaber der Bülacher Maschinenfirma Oertli, kann nur den Kopf schütteln über Vorschläge, dem Wechselkurs zwischen Franken und Euro freien Lauf zu lassen: «Das würde eine derartige Flucht in den Franken auslösen, dass dieser massiv in die Höhe getrieben würde, eine Katastrophe für uns Exporteure.» Er sei «extrem froh», dass die Nationalbank den Euro nicht unter 1.20 Franken fallen lasse, sagt Oertli. Die Firma, die mit 200 Mitarbeitenden Präzisionswerkzeuge produziert und zu zwei Dritteln in Deutschland absetzt, sei auf einen stabilen Franken angewiesen. Oertli brauche Zeit, um mit dem von der Hausbank finanzierten Investitionsprogramm die Produktivität bis Ende 2013 entscheidend zu verbessern.


Die Schweiz sei weit davon entfernt, die Untergrenze zum Euro infrage stellen zu müssen, sagt Pascal Gentinetta, Chef von Economiesuisse. Der Franken sei jetzt schon 10 bis 15 Prozent überbewertet. Gemessen an der Kaufkraft, müsste der Euro bei 1.30 bis 1.35 Franken liegen. Das Problem liege anderswo: «Der Aufwertungsdruck rührt daher, dass so viele aus dem Euro in den Franken flüchten, wird also von Angst im Euroraum genährt», sagt Gentinetta.


Die Durchsetzung von Wechselkurszielen habe viel mit Psychologie, mit Vertrauen in die Akteure zu tun, ist die Einschätzung von Bührer. Er halte darum nichts von Vorschlägen, wie sie etwa der Zürcher Finanzprofessor Martin Janssen macht. Janssen schlug der Nationalbank als Exit-Strategie vor, sie solle den Franken gegenüber dem Euro schrittweise um ein Prozent pro Quartal ansteigen lassen.  Angesichts der Schwere der Eurokrise sei selbst die von der Nationalbank aus geführte Debatte über mögliche Abwehrmassnahmen gegen einen Run auf den Franken unglücklich. «Wenn wir diese Diskussion hochfahren, ist das sehr gefährlich, denn es nährt den Verdacht, dass wir nicht mehr an die Untergrenze von 1.20 glauben», sagt Bührer. Zudem seien Abwehrmassnahmen wie Negativzinsen und Kapitalverkehrskontrollen in einer globalisierten Wirtschaft ohnehin «nicht tauglich».


Er habe gewisse Befürchtungen, dass die Nationalbank die Grenze von 1.20 längerfristig nicht halten könne, sagt der Thurgauer Unternehmer und SVP-Politiker Peter Spuhler: «Als Unternehmer bin ich aber darauf angewiesen, dass sie alles unternimmt, um diese zu halten.» Als flankierende Massnahme schlage er vor, dass die Nationalbank viel weniger in ausländische Staatspapiere investiere und die riesigen Beträge stattdessen in Aktien erstklassiger Unternehmen im Euroraum investiere.
Beispielsweise über einen Staatsfonds, wie dies Singapur, China oder Katar machten. «Damit könnte die Nationalbank die Geldmenge ausweiten», so Spuhler, «und sie würde erst noch von Kursgewinnen und Dividenden profitieren.»  


Quelle: Tages-Anzeiger

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