Montag, 16. Januar 2012

Kampfzone Mehrfamilienhaus

Die Konflikte in Miethäusern sind immer zahlreicher: Die Streitereien nehmen offenbar auch in Zürich zu. Vor allem an Lärm und Gestank entzünden sich die Konflikte. Aber auch Immobilieneigentum schützt vor Konflikten nicht.

Sie schreien sich an, klappern mit Holzzoggeli übers Parkett, verschieben Möbel, braten frühmorgens Knoblauch im Schweinefett – und nerven so die Nachbarn. «In Mehrfamilienhäusern geht’s aggressiver zu und her als früher», sagt Hans Barandun, der für den Zürcher Hauseigentümerverband rund 1300 Liegenschaften im Kanton bewirtschaftet. Er glaubt zu wissen, weshalb: «Kommen die Leute abends gestresst von der Arbeit nach Hause, platzt ihnen das Ventil. Dann machen sie Rambazamba.» Zum Leidwesen der Mitbewohner. Dieser Einschätzung schliesst sich Rechtsanwalt Felix U. Bretschger an. Er ist Präsident einer Fachgruppe Nachbarschaftsmediation und hat festgestellt: «Die zunehmende Hektik in der Arbeitswelt und in manchen Fällen auch der materielle Druck verursachen immer wieder Konflikte unter Mietern.» Mehr Druck am Arbeitsplatz bedeute weniger Zeit, um die Nachbarschaft zu pflegen und um nachbarschaftliche Konflikte im direkten Gespräch auszutragen, sagt Walter Angst, Sprecher des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich. Er habe den Eindruck, dass die «Toleranzschwelle bei den Mietern am Sinken ist, namentlich dort, wo wegen der veränderten Bevölkerungsstruktur verschiedene Kulturen aufeinanderprallen». Das Bild stammt aus einer Genossenschaftssiedlung am Zürcher Friesenberg.

Mieter, die sich durch die Nachbarn gestört fühlen, würden heute schneller als in den vergangenen Jahren an die Verwaltung gelangen und sich beschweren. Dies hat laut Walter Angst mit dem überhitzten Wohnungsmarkt zu tun. Er nennt als Beispiel Aussersihl, wo einst arme Leute genügsam in günstigen Wohnungen lebten. Jetzt sind auch dort die Mietzinse stark gestiegen und Personen mit überdurchschnittlichem Einkommen eingezogen. Wer für sein Zuhause 3000 Franken im Monat bezahle, mache spürbar höhere Ansprüche an die Lebensqualität geltend. «Diese Leute reagieren auf Kindergeschrei oder Knoblauchgeruch im Treppenhaus genauso gereizt wie jene, die oben am Zürichberg residieren.»

Vermehrt zu Konflikten führen neuerdings noch andere Phänomene, die früher praktisch keine Rolle spielten. Nachbarschaftsmediator Felix U. Bretschger führt das «sehr verdichtete Wohnen» ins Feld, das heute aus raumplanerischen Gründen häufig propagiert werde. Und Peter Schmid, Präsident der Zürcher Sektion des Verbandes für Wohnungswesen, hat festgestellt, dass «Mieter den Lärm innerhalb des Hauses stärker wahrnehmen, seit die Gebäude gegen aussen besser isoliert sind». Auch das gebe häufig Anlass zu Reklamationen.

Reibereien unter Mietern versuchen Vermieter oder Verwalter häufig in direktem Kontakt mit den Konfliktparteien beizulegen. Über solche Vorfälle wird nicht Buch geführt. Bleiben die Fronten verhärtet, lenken jene Mieter, welche permanent gegen die Hausordnung verstossen, spätestens bei der Kündigungsandrohung in der Regel ein. Sie wissen genau, dass sie in Zeiten akuter Wohnungsnot kaum eine Chance haben, eine neue Bleibe zu finden. «Ihr Verhalten wird bei einer Referenzanfrage sicher nicht totgeschwiegen», sagt Hans Barandun vom Hauseigentümerverband. Deshalb komme es kaum zu Kündigungen.

Auch die Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich, die rund 9000 Wohnungen anbietet, spricht Kündigungen nur im Extremfall aus. 2011 waren es deren drei. Bei schweren Konflikten setzt sie ihren Sozialdienst ein. Letztes Jahr sah er sich mit 31 Fällen konfrontiert, deren 13 sind noch hängig. Gelingt es trotzdem nicht, den Streit zu schlichten, bietet die Stadt laut Direktor Arno Roggo ab und an Hand zu einem Wohnungstausch: «Dies besonders, wenn Kinder involviert sind.»

Kündigungen bringen häufig Verfahren zwischen Vermietern und Mietern mit sich – vor der Schlichtungsbehörde oder vor Mietgericht. Sie enden meist mit einer Mieterstreckung. Eher selten lösen Störenfriede von sich aus das Mietverhälnis auf. Umgekehrt verlassen häufiger genervte Mieter aus freien Stücken ihre Wohnung, wenn sie die angespannte Situation nicht mehr ertragen.

Quelle: Tages-Anzeiger 16. Januar 2012 / Bild: Guntram Rehsche

Literatur: Ratgeber «Mietrecht» Umzug, Kosten, Kündigung - alles, was Miter wissen müssen, Beobachter Buch-Verlag, 34 CHF, 7. Auflage 2010

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