Montag, 26. März 2012

Zweitwohnungsbau & Tourismus

Reka-Direktor Roger Seifritz plädiert für staatliche Unterstützung des Tourismus wie in Österreich. Sonst erwartet er für viele Destinationen eine Bruchlandung. Doch nicht alle mögen ins Klagelied einstimmen.

Bergdörfer werden es nach der Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative schwer haben: Häuser im Bündner Dorf Brigels. (Archivbild)

Bergdörfer werden es nach der Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative schwer haben: Häuser im Bündner Dorf Brigels. (Archivbild - Keystone)

Roger Seifritz, sieben von zehn haben in Saanen und Gstaad – dort, wo Sie wohnen – gegen die Zweitwohnungsinitiative gestimmt. Und Sie?
Roger Seifritz: Ich habe auch dagegen gestimmt.

Roger Seifritz war früher Tourismusdirektor von Gstaad-Saanenland und ist heute Reka-Direktor. (Bild: Keystone)

Diese Initiative haben sich die Tourismusorte selber eingebrockt. Sie waren bis im Frühling 2011 Tourismusdirektor der Destination Gstaad-Saanenland. Weshalb haben Sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt?
Es ist etwas einfach, den Bock den Tourismusorten zuzuschieben. Die Käufer der Zweitwohnungen sitzen im Unterland, die Verkäufer im Oberland. Die Unterländer wollen die Landschaft erhalten und stimmten Ja. Aber die Nachfrage stammt von ihnen. Wer ist nun schuld? Wer sicher geschlafen hat, ist die eidgenössische und kantonale Politik. Sie haben die Leitplanken nicht oder zu spät gesetzt. Deshalb überschoss das ganze System.

Normalerweise ärgern sich Gemeinden über Eingriffe in ihre Freiheit. Sie fordern aber mehr Steuerung von oben. Ist das nicht paradox?
Einmischungen schätzen Gemeinden tatsächlich nicht. Doch es gibt Situationen, in denen sie schlicht überfordert sind. Sie müssten ein System abklemmen, von dem ihre eigenen Bürger profitieren. Das funktioniert einfach nicht. Es sägt niemand den Ast ab, auf dem er sitzt.

Also ist die Initiative ein Segen. Sie schafft Klarheit.
Die Initiative hat ihre positiven Seiten. Der Ansatz ist richtig, und in 20 Jahren werden wir die Zäsur sogar positiv finden. Die 20-Prozent-Limite ist aber ein Blödsinn.

Reiche können sich auch bei knapperem Angebot eine Ferienwohnung leisten. Bleiben aber für den Mittelstand Ferien in einer Wohnung in den Bergen erschwinglich?
Der Zweitwohnungsmarkt in den angesagten Destinationen wird explodieren. Die Preise werden massiv steigen. Wer heute eine Zweitwohnung besitzt, reibt sich die Hände.

Werden also alle unsere Bergdörfer zu kleinen Gstaad-Imitationen, wo vor allem Reiche in die Ferien gehen?
Schwierig, zu sagen. Dort, wo die Limite erreicht ist, steigen die Preise, und die können sich nur Wohlhabende leisten. Es könnte tatsächlich dazu führen, dass heutige Wohnungsbesitzer langfristig einfach durch reichere abgelöst werden.

Die Österreicher kennen eine solche Limite schon längst. Trotzdem sind sie billiger, freundlicher und belegen in Rankings die Topplätze. Was machen sie besser?
Billiger sind sie wegen des Euros. Bei uns ist alles teurer. Zudem gehen die Regeln einher mit einer starken Stützung des Tourismus. Bahnen, Beschneiungsanlagen, Marketing werden staatlich subventioniert. Im Tirol bringt eine Tourismussteuer für das Tourismusmarketing jährlich rund 200 Millionen Euro ein, die dann an die Destinationen verteilt werden. Die Steuer wird nicht nur im Berggebiet erhoben, sondern im ganzen Bundesland. In der Schweiz lasten die Abgaben alleine auf der Tourismusbranche. Im österreichischen Tourismussektor generiert die Gastronomie am meisten Umsatz. In der Schweiz ist es die Bauwirtschaft. Da läuft doch etwas falsch?
Mit Blick auf den Landverschleiss schon. Von der Volkswirtschaft her betrachtet, ist es aber egal, wo die Leute beschäftigt sind. Wenn die Arbeitsplätze in der Baubranche durch solche in der Gastronomie ersetzt werden, ändert sich an deren Gesamtzahl wenig.

Die Hotellerie und Parahotellerie klagt jetzt, sie könne ohne die Querfinanzierung durch den Verkauf von Zweitwohnungen das Geld für Investitionen nicht mehr beschaffen. Sehen Sie einen Weg aus dieser Sackgasse?
Das hängt davon ab, was der Bund als Zweitwohnung definieren wird. In Österreich ist eine solche Querfinanzierung trotz strengen Regeln möglich. Einziger Unterschied: Es werden eben bewirtschaftete Ferienwohnungen verkauft. Wenn die Initiative hingegen sogar solche betreffen würde, wäre nicht einmal mehr ein Reka-Dorf möglich.

Wie stark belastet Sie das?
Wir hatten Glück. Unser neustes Projekt in Blatten Belalp hat die Baubewilligung im Dezember bekommen. Das erspart uns Verzögerungen.

Und für künftige Projekte?
Wir warten nun einmal ab. Es ist zum Glück nicht das Ziel der Initianten, dass gut ausgelastete Ferienwohnungsanlagen ein Problem bekommen. Schwierigkeiten könnten wir dagegen bekommen, wenn wir Liegenschaften verkaufen wollen.

Wie meinen Sie das?
Unser Kernprodukt sind die zwölf Reka-Feriendörfer. Dort haben wir eine hervorragende Auslastung. Wir besitzen aber auch ein paar bedingt rentable Liegenschaften.

Haben Sie ein Beispiel?
In Brissago haben wir eine Anlage mit 15 Wohnungen an einem Villenhang. Hier zu investieren, lohnt sich für uns nicht. Deren Verkauf brächte uns aber die Mittel für den Bau eines neuen Feriendorfs.

Wo liegt jetzt das Problem?
Wir können diese Anlage wohl nicht mehr als reine Zweitwohnungen verkaufen. Die angenommene Initiative bedeutet also, dass es schwieriger wird für uns, gute, zukunftsgerichtete Projekte zu realisieren.

Wieso verkaufen? Die Appartements werden doch nun begehrter, und Sie könnten die Mietpreise anheben. Dann lohnt sich die Sanierung plötzlich wieder.
Ja, das könnten wir. Allerdings entspricht das aber nicht unserem Geschäftsmodell. Wir sind eine Non-Profit-Organisation, die Familien relativ günstige Ferien ermöglichen soll.

Sehen Sie auch positive Auswirkungen für Reka?
Angesagte Destinationen werden nun für uns interessant. Nehmen wir als Beispiel Gstaad: Für eine neue Reka-Anlage brauchen wir rund 10000 bis 15000 Quadratmeter Land. Ab 2013 verliert das bisher unerschwingliche Bauland an Wert. Das erhöht unsere Chance, an einem solchen Ort Land zu erwerben.

Sie möchten also gerne ein Standbein in Gstaad aufbauen?
Das ist wohl zu nah an der Lenk gelegen. Dort betreiben wir bereits ein Feriendorf. Wir wollen uns nicht selber konkurrenzieren. Interessant ist für uns vor allem das Oberengadin oder das Wallis.

Reka-Feriendörfer haben warme Betten. Sollte das Modell nicht auch auf das gehobene Segment adaptiert werden?
Ich bin überzeugt, dass auch für gehobene Ansprüche ein Potenzial besteht. Bisher wird es von eher kleinen, einzelnen Anbietern abgedeckt.

Wie stark wird die Schweizer Tourismusindustrie unter Druck geraten wegen der Initiative?
Die Bauwirtschaft in den Destinationen wird stark leiden. Dieses Jahr werden wahrscheinlich noch in beschleunigten Verfahren Baubewilligungen erteilt, die einen Bauboom auslösen. Danach aber wird in den Bergen weniger gebaut werden. Das bedeutet unter anderem auch weniger Handänderungs- und Grundstückgewinnsteuern.

Und die Land- und Liegenschaftseigentümer?
Unter dem Strich kommt der von der Initiative verursachte Wertverlust einer kalten Enteignung gleich. Bereits sind Beschwerden und Sammelklagen in Vorbereitung. Die Eigentümer werden Entschädigungen einfordern wie etwa in Zürich. Dort muss der Flughafen Zürich Anwohner der Anflugschneise wegen des steigenden Lärmpegels entschädigen. Ich rechne mit einer Prozesslawine.

Gstaad und das Saanenland haben die Initiative klar verworfen. Sigriswil hat sie angenommen. Sie sehen die Initiative offenbar als Chance. Und Sie?
Ich sehe durchaus die Chancen, es braucht aber eine gewisse Abfederung mit stützenden Massnahmen.

Welche?
Der Staat sollte dafür sorgen, dass Beherberger einfacher an Fremdkapital gelangen, wie zum Beispiel in Österreich und im Südtirol. Heute ist das in der Schweiz praktisch nur via Banken möglich. Dann muss der Staat bei der Infrastruktur aushelfen, wenn er will, dass in den Bergregionen der Tourismus eine Zukunft hat. Zum Beispiel muss er die Bahn- und Beschneiungsinfrastruktur staatlich subventionieren. Den öffentlichen Verkehr in der Stadt bezahlt der Staat ja auch.

Der Ruf nach dem Staat ist unüberhörbar. Und wenn er nichts unternimmt?
Dann werden viele Destinationen nicht überleben, tendenziell trifft es die kleineren und mittleren.

Quelle: Tages-Anzeiger Online / Berner Zeitung vom 26. März 2012



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